Geschichte > Mümliswil und die Wasserfallenbahn

 
1. Über die Eisenbahnen 2. Eisenbahn in der Schweiz
3. Zur Geschichte der Gäubahn 4. Mümliswil damals
5. Die Wasserfallenbahn 6. Spuren der Wasserfallenbahn


1. Über die Eisenbahnen

Der Siegeszug der Eisenbahn begann mit der Konstruktion der ersten Lokomotive durch den englischen Maschinenmeister George Stephenson. Nachdem die Lokomotive zuerst Kohlenzüge zu ziehen hatte, erhielt Stephenson den Auftrag, eine Bahn zu bauen, die Menschen transportieren konnte. Im Jahre 1825 rollte dann die erste öffentliche Eisenbahn von Stockton nach Darlingten in England. 1829 gewann die vom Sohn des Ersterbauers Robert Louis Stephenson erbaute Lokomotive " Rocket " ein Lokomotiven-Wettrennen mit der damals ungeheuren Geschwindigkeit von 30 Km/h. Ein Jahr später rollte dann auch die Bahn auf der Linie Liverpool-Manchester.

Man hatte beim Bau der Bahnen nicht nur mit technischen Schwierigkeiten zu rechnen, sondern man kämpfte auch gegen Vorurteile von sogenannten " Fachleuten ".

"Die Lokomotive atmet einen giftigen Rauch aus, der die Luft verpestet, die Vögel tötet und die Menschen krank macht. Die Sonne wird nicht mehr durch den Rauch hin durch scheinen und die Häuser werden durch die Funken aus dem Schornstein der Lo komotive in Brand gesteckt."

Einige Ärzte in Bayern schreiben:

"Der Fahrbetrieb der Dampfwagen ist mit Rücksicht auf die öffentliche Gesundheit zu untersagen. Die schnelle Bewegung erzeugt unfehlbar Gehirnkrankheiten, ja bereits der bloße Anblick eines rasch dahinsausenden Zuges kann diese Krankheiten hervorrufen, daher muss man an beiden Seiten des Bahnkörpers ein mindestens zwei Meter hohen Zaun errichtet werden."


2. In der Schweiz

1847 wurde die erste Eisenbahn der Schweiz, die Spanisch-Brötli-Bahn, von Zürich nach Baden in Betrieb genommen.

1850 beauftragt der Bundesrat die beiden englischen Ingenieure R.L. Stephenson und H. Swin- burne die Frage zu begutachten, was für eine Eisenbahn für die Natur der Schweiz am besten sei. Das Gutachten der beiden Engländer kam zum Schluss, dass vorerst ein Dreieck mit den Spitzen Basel-Bern-Zürich zu bauen sei. Dies bedingte aber zwei Linien ab Basel.

Basel - Bötzberg - Zürich und Basel - Passwang - Solothurn - Bern

Das gefiel aber dem Bundesrat nicht, da er sich zwei sich kreuzende Bahnlinien wünschte (wie die heutigen Autobahnachsen):

Genf - Romanshorn und Basel - Olten - Bern

Das führte automatisch zu einem Eisenbahnknotenpunkt in Olten oder Oensingen.

Da Solothurn wegzufallen drohte, bildete sich 1850 ein Gäubahnkomitiee, das die Linie Olten-Solothurn-Schönbühl zu verwirklichen suchte. Auf eine Weiterführung in Richtung Westschweiz wurde verzichtet, da die Schiffahrt bis dahin immer noch billiger war als die Eisenbahn.

Nun kam es zur Gründung der Privatbahn-Geselllschaften:

SCB - Schweizerische Centralbahn-Gesellschaft
JSB - Jura-Simplon-Bahn
NOB - Nordost Bahn
GB - Gotthardbahn

Die SCB verlangte eine Konzession zum Bau einer Bahn von Basel nach Olten. Dies konnte aber nur geschehen wenn der Kanton Solothurn die Bewilligung zum Durchstich des Hauensteins erteilte. Es entstand ein Streit zwischen Solothurn und Olten. Solothurn, resp. das Gäubahnkomitee wollte den Durchstich durch den Hauenstein nur bewilligen, wenn sich die SCB verpflichtet hätte, die Linie Olten-Solothurn, eben die "Gäubahn", zu erstellen. Daraufhin drohte die SCB mit der "Bötzberglinie", wobei Olten weggefallen wäre. Schliesslich siegte Olten und die "Gäubahn" fiel weg.

1853 wurde mit dem Bau des Hauensteintunnels begonnen. Am 28. Mai 1857 ereignete sich ein grosses Unglück im Tunnel, wobei 63 Arbeiter und Rettungsleute getötet wurden. Ein Jahr später konnte die Hauensteinlinie eröffnet werden.

Gleichzeitig erfolgte der Bau der Linie Olten-Bern via Langenthal-Herzogenbuchsee, mit einem Abzweiger von Herzogenbuchsee nach Solothurn-Biel. Wollte man also von Solothurn nach Olten reisen, so führte der Weg über Herzogenbuchsee-Langenthal nach Olten.


3. Zur Geschichte der Gäubahn

Anlässlich einer Versammlung des "Landwirtschaftlichen Vereins" in Oberbuchsiten wurde 1869 erstmals wieder von einer "Gäubahn" gesprochen. Vorgesehen war eine schmalspurige Bahnlinie von Olten durch das Gäu nach Derendingen mit Anschluss an die Linie Herzogenbuchsee - Solothurn. Der Chef des Baudepartementes des Kantons Solothurn legt eine Studie vor, in welcher sich die Kosten einer solchen Bahn auf Fr.3,2 Mio. belaufen würden.

Bei der Erteilung der Konzession für die Bahnlinie Olten-Bern, war der Kanton Solothurn die Verpflichtung eingegangen, während 30 Jahren keine Gäubahn zu bauen. Als nun der Bau der Gotthardbahn bevorstand, bewilligte der Kanton Fr. 300’000.- und die Städte Solothurn und Olten Fr. 100’000.- an Subventionen. Diese sollten aber nur bezahlt werden, wenn die SCB auf die seinerzeit eingegangene Verpflichtung verzichtete. Dies gelang und Solothurn hatte wieder freie Hand.

Am 26. Mai 1870 bildet sich ein Initiativkomitee, das zur Finanzierung der Vorarbeiten 1000 Aktien à Fr. 5.- herausgab. Die Beschaffung der nötigen Geldmittel gestaltete sich schwieriger, als man gedacht hatte. Man wandte sich an die beteiligten Gemeinden, bis schliesslich 2,5 Millionen Franken beisammen waren. Nachdem die finanzielle Seite geregelt war, bezeugte plötzlich auch die SCB Interesse an der Gäubahn.

Nun kam es zu Verhandlungen mit dem Gäubahnkomitee. Am 15. Dezember 1873 wurde der sogenannte Gäubahn-Vertrag abgeschlossen, in welchem sich die SCB verpflichtete, die Gäubahn zu errichten und zusätzlich eine Linie Solothurn-Schönbühl und die Wasserfallenbahn Oensingen-Balsthal-Mümliswil-Liestal zu bauen.


4. Mümliswil damals

Mümliswil war während vielen Jahren die grösste Gemeinde des Bezirks.

 
Jahr Mümliswil  Balsthal
1850 1580 Einwohner 1077 Einwohner
1860 1532 Einwohner 1122 Einwohner
1870 1843 Einwohner 1255 Einwohner
1880 1713 Einwohner 1272 Einwohner (Einbruch)
1888 1643 Einwohner 1538 Einwohner
1890 1828 Einwohner 2443 Einwohner

Mümliswil hatte schon früh Industrie und Gewerbe und war deshalb relativ gross. Die Industrie bildete eine Papiermühle, eine Kartenmacherei und eine Kammfabrik. 1874 wurde die erste Feuerspritze für Fr. 2400.- und die erste Dorfbeleuchtung, bestehend aus 3 Oellampen, angeschafft.

Wir nähern uns langsam der Zeit der Wasserfallenbahn. Dazu das Umfeld:

1870 / 71 Deutsch-Französischer Krieg
1871 Rigi Zahnradbahn fertiggestellt
1874

Totalrevision der Bundesverfassung

1877 1. Fabrikgesetz


5. Die Wasserfallenbahn

Ich stütze mich hier zum grössten Teil auf die Aussagen von Beat Walter, der von 1871 - 1899 der Ammann der Gemeinde Mümliswil war. Er schreibt in seinen Lebenserinnerungen zum Jahr1872:

"In diesem Jahr wurde durch die SCB Ausmessungen für die Erstellung einer Eisenbahnlinie von Liestal über Reigoldswil durch die Wasserfallen nach Müm liswil-Balsthal-Oensingen vorgenommen. Alles hatte grosse Freude."

Im Februar 1873 wurde der Anfang mit Graben von Sondierlöchern gemacht. In der gleichen Zeit wurden die Gemeinden, durch welche die Bahn gezeichnet war, um Beiträge ersucht. Die hiesige Gemeinde verpflichtete sich für Fr. 15’000.-. Im Dorf wimmelte es nur so von Geometern, Unternehmern und Arbeitern.

Nun erfolgte die Bauausschreibung. Das Baulos "Wasserfallen" wurde der deutschen Firma Schneider, Münch und Jerschke zugeschlagen, da sie den billigsten Voranschlag einreichte.

Projektierte Länge: 25,695 km
(Liestal - Oensingen)

Wasserfallen-Tunnel: 3,520 km

Veranschlagte Kosten: 13,5 Mio. Fr.

Beat Walter schreibt:

1874 "Nun alles nahm einen besseren Anfang als Ausgang und schon am 27. Oktober wurde mit 54 Mann an drei Stellen mit der Arbeit angefangen und von hiesiger Bürgerschaft mit Mörserschüssen begrüsst. Nun wurde ununterbrochen Tag und Nacht gearbeitet."

In der Gemeinde herrschte grosse Euphorie. Alles hoffte, am grossen "Geldsegen" der Eisenbahnzeit teilhaben zu können. Wer irgendwie konnte, der versuchte in seinem Haus, in einem Schuppen oder Estrich, kleine Zimmer einzurichten, um Eisenbahnarbeiter beherbergen zu können. Mit der Zeit arbeiteten 250 - 300 Mann (Italiener, Deutsche, Tiroler, Tessiner und Engländer) an der Bahnlinie.

Ein Spital wurde gebaut und eingerichtet, ebenso eine Kantine und ein Bahnhofplatz. Zitat Beat Walter:"Ununterbrochen, Tag und Nacht kamen Fuhren mit Holz, gehauenen Steinen, etc."

Es entstanden immer neue Wirtschaften. Zuletzt gab es 1875 in Mümliswil 23 Wirtschaften und Gastbetriebe. Zu Beginn der Bauarbeiten machten die Krämer und Wirte die besten Geschäfte. Einzelne Wirte wechselten das Geld, das die Arbeiter verdienten, in eigenes Geld um, damit die Kunden gezwungen waren, nur bei ihnen zu kaufen. Noch heute existieren solche Winkler- und Pedrotti-Batzen.

Alles wurde auf Kredit gekauft und auf Kredit geliefert. Bürgschaften wurden eingegangen, stets im Hinblick auf eine glorreiche und lange andauernde Eisenbahnzeit.

Ein Eisenbahnarbeiter verdiente für eine 12-stündige Schicht Fr.2.50.- und jene die im Tunnel arbeiteten Fr.5.- pro Schicht. Die Lohnauszahlung erfolgte 14-tägig.

Doch schon bald machten sich Vorboten eines Krachs bemerkbar. Man bemerkte, dass die deutsche Firma technisch nicht auf der Höhe war. Auch finanziell war sie zu wenig abgesichert. Dies führte schon bald zu unregelmässigen Lohnauszahlungen. Es kam zu Streiks und Meutereien, was eine strenge Polizeiaufsicht zur Folge hatte. Die Regierungen der beiden Kantone BL und SO stellten eine mangelhafte und verfehlte Organisation der Arbeiten und ein unzulänglicher Betriebsfonds fest.

Im August 1875 gab es Gerüchte, der Bau werde eingestellt. Es kam zu einem Streik. Die Arbeiter rotteten sich in Mümliswil zusammen und zerstörten die einzig noch arbeitsfähige Maschine.

Als das endgültige "AUS" zur Tatsache wurde, war die Erbitterung und Enttäuschung gross. Paul Haefeli-Lack, dessen Vater beim Wasserfallenbahnbau mitarbeitete, sagte, dass sein Vater stets behauptet habe, dass nur noch ein Zahltag (14 Tage) nötig gewesen wäre, den Tunnel zu durchstechen. Die Arbeiter sprengten die Schächte, wobei Maschinen und Geschirr zugeschüttet wurden.

Ein Bäcker aus Mümliswil, der für Lieferungen von Brot und Spezereien einige Fr. 1000.- zu fordern hatte, zündete eines Nachts aus Wut die Kantine an. Er wanderte später nach Amerika aus.

Für die Mümliswiler waren die Folgen verheerend. Alle oder mindestens die meisten Investitionen entpuppten sich nun als Fehlspekulation. Die fremden Arbeiter zogen ab und damit verschwand auch der Mehrverdienst der vielen Vermieter. 1879 kehrten 16 Personen ihrer Heimat enttäuscht den Rücken und wanderten nach Amerika aus.

Da sich die SCB weigerte, den Bau weiterzuführen, kam es später zum sogenannten Wasserfallenbahn-Prozess. Mümliswil erhielt im Jahre 1880 als Entschädigung 326 a Land und Fr. 49612.15 aus dem Wasserfallenbahnfonds.

Der Anschluss an die "grosse, weite Welt" war endgültig ins Wasser gefallen. Entprechend war auch der Bevölkerungsrückgang (siehe Seite 4).

Später, im Jahre 1899, als die Oensingen-Balsthal-Bahn (OeBB) eröffnet wurde, hoffte man noch einmal auf eine Weiterführung des Wasserfallenbahn-Projekts. Eigentlich wurde die Hoffnung nie ganz aufgegeben.


6. Spuren der Wasserfallenbahn

Die Wasserfallenbahn hat Spuren bis in die heutige Zeit hinterlassen.

  • Das Spital steht heute noch. Es gehörte früher der Bürgergemeinde, ist aber heute in Privatbesitz.

  • Die "Linie" ist heute ein Quartier. Hier liegt der Bauschutt aufgeschüttet, der beim Bau aus dem Tunnel geholt wurde. Die Bahnlinie hätte hier durchgeführt.

  • Der Turnplatz des damaligen Schulhauses musste verlegt werden, da dieser Platz als Bahnhofplatz vorgesehen war. Heute sprechen wir aber nicht vom Bahnhofplatz, sondern vom "alten Turnplatz".

  • Limmernbrücke. Im Jahre 1881 trat der Limmernbach infolge eines Unwetters über die Ufer und überschwemmte grosse Teile des Dorfes. Nun musste der Limmernbach korrigiert und eine neue Brücke gebaut werden. Die Steine, die seinerzeit für das Portal des Wasserfallentunnels schon bereit lagen, wurden nun zur Herstellung der neuen Brücke benutzt.

  • Wenn man weiss wo, findet man heute noch Entlüftungsschächte des Tunnels und bei starken Unwettern kann es sein, dass an gewissen Orten ein kleiner Teil des Bodens in den Tunnel fällt.

Zu Beginn der 60er-Jahre, bei der Planung des Autobahn-Strassennetzes, wurde wiederum vom Wasserfallentunnel gesprochen. Für die N1 wurden eine Variante "Bölchen" und eine Variante "Wasserfallen" in Erwägung gezogen. Bekanntlich kam die Variante "Bölchen" zur Ausführung.

Für uns Mümliswiler gilt es, nicht dem Verlorenen nachzutrauern. Wir müssen versuchen, das Gute und Schöne, das uns die Vorfahren hinterlassen haben, zu erhalten und wieder weiterzugeben. Wir haben viel, das erhaltenswert ist, ohne dass wir aus unserem Dorf ein Museum machen müssen.


Quellen:

Gedruckte:

- Franz Meyer; Wir wollen frei sein 3. Band
- Verfasser unbek., Geschichte der Gäu-Bahn
- B. Saner; Schulgeschichte Mümliswil-Ramiswil
- G.A. Frey; Zur Geschichte der Wasserfallenbahn
- H. Frey, E. Glättli; schauffeln, sprengen, karren

Ungedruckte:

- Beat Walter; Meine Lebenserinnerungen
- Paul Häfeli-Lack; Zur Wassefallenbahn